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Bamberger Dom:Predigt zum Jahresschluss am 31. Dezember 2024

Datum:
Veröffentlicht: 31.12.24
Von:
Erzbischof Herwig Gössl

Les: Röm 8,18-25 (Lesejahr C)

Für die antiken Philosophen war die Hoffnung keine Tugend, sondern eher ein Übel, verschlossen in der Büchse der Pandora. Wem es gelingt, die Hoffnung ebenso zu beherrschen wie die Furcht, der kann zu einer gewissen Unerschütterlichkeit im Leben gelangen und auf diese Weise glücklich leben, im Rahmen dessen, was das Leben, vernünftig betrachtet, hergibt. 

Mit dieser nüchtern-sachlichen Betrachtungsweise hat das Christentum von Anfang an gebrochen. Der Apostel Paulus schreibt an mehreren Stellen seiner Briefe von der christlichen Hoffnung, nicht nur in der eben gehörten Lesung. Am bekanntesten dürfte wohl der Satz am Ende des sogenannten Hoheliedes der Liebe im 1. Korintherbrief sein, wo es heißt: Also „bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (1 Kor 13,13). Paulus rechnet die Hoffnung zu den höheren Gnadengaben Gottes, die alle drei eng zusammengehören und von der Liebe bestimmt werden. Schon sehr früh wurden daher Glaube, Hoffnung und Liebe durch die Kirchenväter zu den drei göttlichen Tugenden erklärt, also zu den Gaben Gottes, die es den Menschen ermöglichen ein Leben gemäß dem Willen Gottes zu führen. 

Hoffnung ist somit keine Utopie und auch keine billige Vertröstung, sondern sie befähigt den Menschen, als Christ zu leben und diese Welt im Sinne Gottes mitzugestalten. Ohne Hoffnung erlahmt jede Initiative, geht bei jeder guten Idee sehr schnell die Luft aus, sobald Widerstände auftauchen, werden Friedens- und Versöhnungsinitiativen nach langen Kriegen und Feindschaften praktisch unmöglich. Die Hoffnung als gute Gabe Gottes ermöglicht es, sich nicht mit dem abzufinden, was vor Augen liegt, nicht mit an angeblich unabänderlichen Fakten, vor allem nicht mit dem Faktum, dass eine ganze Reihe von Menschen sich immer wieder äußerst unvernünftig verhalten. Die Hoffnung in Verbindung mit dem Glauben schenkt dem Leben eines Menschen eine andere, göttliche Perspektive und von daher den Mut, nicht aufzugeben. Und die Hoffnung in Verbindung mit der Liebe macht Vergebung und Versöhnung erst möglich. Auf dieser Grundlage erst kann sich der Blick voll Zuversicht in die Zukunft richten, auch am Beginn eines neuen Jahres, das nach unserer Zeitrechnung in dieser Nacht anfängt, und am Beginn eines Heiligen Jahres, das uns als „Pilger der Hoffnung“ aussendet, hinein in eine Welt, in Umstände und Situationen, die für so viele Menschen aussichtslos und hoffnungslos erscheinen.

Die Hoffnung lässt uns zuversichtlich in die Zukunft schauen und gehen, nicht, weil sie uns falsche Versprechungen macht oder eine rosarote Brille aufsetzt, sondern weil uns die Hoffnung in Verbindung mit dem Glauben und der Liebe mit Gott verbindet, der einen langen Atem hat und mit viel Liebe auf diese Menschheit blickt. Die Hoffnung lässt uns noch weit über das hinausblicken, was uns ab und zu mal gut gelingt. Sie sieht - mit Gottes Augen - dass alles gut ist, so wie es bei der Schöpfung gedacht war und wie es bei der Vollendung der Welt sein wird. Wenn wir als Pilger der Hoffnung in dieses neue Jahr gehen, dann ist es wichtig, dass wir möglichst viele Orte der Hoffnung identifizieren, Orte, an denen Hoffnung aus dem Glauben und in Liebe vermittelt wird. Das ist wichtig, weil Hoffnung das Wichtigste ist, was wir Christen in diese Welt hineintragen können. Und es ist wichtig, dass wir selbst uns immer wieder bewusstmachen, wie oft und an wie vielen Orten wir mit der Hoffnung in Berührung kommen. 

Ich bin dankbar für die Initiative unseres Seelsorgeamtes, das mit Hilfe von solchen runden Schildern auf Hoffnungsorte aufmerksam machen will. Diese Hinweisschilder können eine Einladung zum Gespräch sein, zum Austausch darüber, wer oder was mir an diesem Ort Grund zur Hoffnung gibt. Ich sehe darin eine Verlängerung der Plakataktion, mit der in diesem zu Ende gehenden Jahr an vielen Stellen im Erzbistum das vielfältige Wirken von Kirche sichtbar gemacht wurde. 

Wer gibt mir Hoffnung? 

  • Hier auf dem Friedhof, im Blick auf die Gräber meiner Lieben, aber auch meiner Gegner?
  • Hier im Krankenhaus, auf der Palliativstation, im Hospiz, in Situationen der Angst und Verzweiflung vor Krankheit und nahendem Tod?
  • Hier im Trubel des Alltags mit seinen Problemen und Problemchen, die nur die Zeit stehlen und mich immer gehetzter werden lassen?
  • Und ich denke hier an manche Kirchentür, die offen steht und einlädt zum Verweilen und zur Ruhe zu kommen.

Es ist einer da, der Hoffnung spenden kann und damit die Kraft vermittelt, das anzugehen oder auch auszuhalten, was auf uns zukommt. 

„Wir sind gerettet - doch in der Hoffnung“ (vgl. Röm 8,24). So schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde von Rom. Wir erleben nicht schon die Erfüllung, das Ende aller Probleme und Schwierigkeiten, und wir haben wahrhaftig gute Gründe, allen Heilsversprechen zu misstrauen, die so etwas lautstark vor sich hertragen. Ja, wir sind gerettet, aber wir erleben eben auch die „Vergänglichkeit der Schöpfung“ - wie Paulus sagt - und „die Leiden der gegenwärtigen Zeit“. Die Hoffnung gibt uns die Kraft, bei all dem nicht aufzugeben, was uns die Zukunft bedrohlich erscheinen lässt. „Hoffen wir auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld“ (Röm 8,25).

„Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ - so sagt ein Sprichwort. Ich möchte dem widersprechen und sagen: Die Hoffnung stirbt nie, denn sie stammt von Gott und sie hilft uns dabei, niemals aufzugeben. Wir müssen nur der Hoffnung auf der Spur bleiben, uns von der Hoffnung erzählen, die uns erfüllt, dann werden wir auf dem Pilgerweg der Hoffnung gemeinsam in eine gute Zukunft gelangen.