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Bamberger Dom:Predigt zum Aschermittwoch der Künstler

Datum:
Veröffentlicht: 14.2.24
Von:
Jürgen Eckert

So viele Tote – so viele Mordopfer – und das am laufenden Band. Diesen Eindruck kann man zumindest gewinnen bei einem Blick ins tägliche Fernsehprogramm. Gefühlt würde ich behaupten, dass da täglich mindestens 10 Krimis laufen mit bestimmt 15 Todesopfern. Und das sind nur die gestellten Tode, erzählt, in ein Drehbuch geschrieben, fingiert.

Doch wir begegnen auch den vielen realen Toten, oder zumindest einem Teil davon – weltweit betrachtet. Die unendlich vielen realen Opfer der Kriege, des Hungers, der Naturkatastrophen oder der Terroranschläge, die es leider immer wieder – viel zu oft – gibt. Auch darüber wird berichtet, und wir können uns dem nicht entziehen.

Und natürlich begegnet uns der Tod auch ganz real im allernächsten Umfeld, in den Todesanzeigen, in denen immer mehr bekannte Namen auftauchen, und in der eigenen Familie, in der Verwandtschaft, im Freundes- und Bekanntenkreis. So viele Tote – Tag für Tag – ohne Unterbrechung. Ja, liebe Schwestern und Brüder, wir sind tatsächlich vom Tod umgeben, wir schauen ihm beinahe ständig ins Angesicht, und wenn nicht in der Realität, dann in der Fiktion. Und dennoch – so scheint mir – ist uns der Tod nicht nahe, lassen wir ihn nicht gerne an uns heran, ja halten ihn möglichst fern, um uns nicht mit ihm auseinandersetzen zu müssen. Ich bin ziemlich sicher: Viele verhalten sich praktisch heute so, wie es der griechische Philosoph Epikur theoretisch ausgedrückt hat: Der Tod geht mich nichts an, denn solange ich da bin, ist der Tod nicht da; und wenn der Tod da ist, dann werde ich nicht mehr da sein. Ich wage allerdings zu bezweifeln, dass dieser groß angelegte Verdrängungsprozess den Menschen wirklich hilft. Eher ist doch vielfach die Reaktion zu beobachten, die der Apostel Paulus in der Lesung den Zweiflern am ewigen Leben in den Mund legt: Lasst uns essen und trinken; denn morgen sterben wir.

Es gehört zu den wunderbaren Geschenken der christlichen Botschaft, dass sie uns Menschen hilft, mit der Endlichkeit unseres Lebens zurecht zu kommen, sie anzunehmen, statt sie zu verdrängen. Denn natürlich hat Epikur nicht recht, zumindest nicht in der Praxis. Natürlich geht der Tod uns auch in diesem Leben etwas an, natürlich bestimmt die Endlichkeit des Lebens unser Denken und Empfinden Zeit unseres Lebens mit, natürlich ragt der Tod tief auch in mein Leben hinein, wenn liebe Angehörige, Freunde, nahestehende Menschen sterben, natürlich klopft die Endlichkeit meines Lebens mit jeder schweren Erkrankung, mit jeder altersbedingten Einschränkung immer deutlicher bei mir an. Irgendwann kann ich diese untrüglichen Zeichen meiner Endlichkeit nicht mehr verdrängen, ohne an dieser Verdrängung selbst krank zu werden. Der Glaube an Jesus Christus dagegen stellt mein Leben auf neuen, festen Grund. Der Horizont weitet sich, und der Tod ist mit einem Mal nicht mehr die große Bedrohung meines Lebens, sondern vielmehr die Tür zu dem, was wir eigentlich erst wirklich Leben nennen können, ein Leben in Fülle, ohne Ende, ohne Bedrohung, geborgen in unendlicher Liebe.

Alle Versuche, dieses Leben mit Bildern unserer Sprache zu beschreiben, müssen scheitern. Das weiß auch Paulus, wenn er in der heutigen Lesung sagt, dass wir uns dieses Leben bei Gott jetzt eigentlich nicht so richtig vorstellen können. Es wird so völlig anders sein als das, was wir aus unserer Erfahrungswelt kennen, nicht vergleichbar, etwa so wie der Unterschied zwischen Samenkorn und entfalteter Pflanze. Und doch ist dieses neue Leben schon als Potential in dem Samenkorn angelegt. So tragen auch wir schon die Ahnung des endgültigen, bleibenden Lebens in uns, und in bestimmten Augenblicken kommt es uns zu Bewusstsein. Es sind Augenblicke, in denen ich mich geliebt weiß und unbedingt angenommen, Momente der Geborgenheit. Der Glaube an Christus hebt diese Momentaufnahmen in unser Bewusstsein und gibt der diffusen Ahnung einen festen Platz im Leben. So stärkt der Glaube unsere Kräfte gegen alles Bedrohliche, er schenkt Hoffnung und Zuversicht, auch in aussichtslosen Lagen, ja selbst im Angesicht des Todes. Wir lernen, der Endlichkeit des Lebens zu begegnen, weil wir unser Leben in Christus geborgen wissen.

So ist das Zeichen der aufgelegten Asche und das Begleitwort „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst“ nicht eine Bedrohung, die uns Angst machen soll, sondern eine Vergewisserung: Wir können der Endlichkeit dieses Lebens fest ins Auge blicken, weil wir im Glauben dem Leben selbst begegnet sind, Jesus Christus, der uns umfängt in unendlicher Liebe. Die österliche Bußzeit, die heute beginnt, will uns dabei helfen, den Zugang zu diesem Leben in uns wieder freizulegen. Im Kreuz des auferstandenen Herrn verliert der Tod seinen letzten und endgültigen Schrecken, denn das Leben hat gesiegt.