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Bamberger Dom:Predigt zur Einführung als Erzbischof

Datum:
Veröffentlicht: 2.3.24
Von:
Herwig Gössl

Wofür bin ich bereit, alles zu verkaufen, alles einzusetzen, was ich habe? Was ist mir so wichtig, dass ich rückhaltlos alles dafür hingebe? Der Schatz im Acker, die eine kostbare Perle, das, wofür ich alles drangebe – für Jesus ist es das Himmelreich, die Gottesherrschaft, also der Zustand, in dem ein Mensch voller Überzeugung sagen kann: Gott ist der Herr meines Lebens. ER spricht das entscheidende Wort, an das ich mich halte, dem ich folge. Gott ist dann nicht nur eine Möglichkeit unter vielen anderen, sondern er ist die eine Wirklichkeit, auf die hin sich alles ausrichtet, so wie ein Kompass nach dem Nordpol. Wer zu Gott gefunden hat, der weiß: Ich habe das große Los gezogen, den Schatz im Acker entdeckt. Ich brauche nicht mehr weiter zu suchen – ich bin am Ziel.

Wir hören dieses Evangelium am Festtag der hl. Kaiserin Kunigunde, der Patronin unseres Erzbistums Bamberg. Für Kunigunde war es offensichtlich so, dass ihr ganzes Leben geprägt und durchdrungen war von ihrem christlichen Glauben. Sie, die mit ihrem Mann, Kaiser Heinrich, zusammen an der Spitze des Reiches stand, sie wusste sich dennoch dem einen untertan, der die Herrschaft über ihr Leben hat: dem lebendigen, dreieinigen Gott. Für diesen kostbaren Schatz setzte sie alles ein, was sie hatte, sorgte sich darum, dass die Menschen zum Glauben finden konnten und diesem Glauben entsprechend leben. So war das wohl damals vor 1000 Jahren. Wie aber ist das heute? Wofür sind Menschen heute bereit, alles einzusetzen, was sie haben?

Wir spüren es und haben es durch die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung bestätigt bekommen: Gott ist es nicht; jedenfalls nicht einmal mehr für die Hälfte der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Und doch meine ich: Solche Untersuchungen bringen nicht immer nur eindeutige Ergebnisse. Wenn die gleichen Menschen nach ihren Werten, Wünschen und Hoffnungen befragt werden, dann formulieren sehr wohl viele genau das, was wir mit dem Wort „Himmelreich“ oder „Gottesherrschaft“ in Verbindung bringen: Frieden, Gerechtigkeit, Erbarmen, Vergebung, Liebe, oder wie das der Verfasser der zweiten Lesung an die Kolosser sagt: Güte, Demut, Milde, Geduld. Um die großen Herausforderungen unserer Tage, die Kriege an so vielen Orten, die Kämpfe um Land und Wasser und Bodenschätze, die Folgen des Klimawandels und das wachsende Gefälle zwischen Arm und Reich anzugehen, braucht es genau die Haltungen und Werte, die uns der christliche Glaube ans Herz legt – braucht es Güte, Demut, Milde, Geduld; braucht es Frieden, Gerechtigkeit, Erbarmen, Vergebung und Liebe; braucht es Menschen, die gelernt haben, zu verzichten, ohne zu verbittern; Menschen, die das Glück ihres Lebens nicht darin finden, immer mehr zu haben – mehr Besitz, Macht, Einfluss, Follower oder was auch immer – sondern deren Glück es ist, dass sie zu Gott gefunden haben, dass sie IHM gehören.

Wir erleben doch, dass überall, wo Menschen Gott verloren bzw. sich an seine Stelle gesetzt haben, Gerechtigkeit, Friede und Versöhnungsbereitschaft nicht gewachsenen sind. Wir erfahren immer mehr Spaltungstendenzen in der Gesellschaft und immer weniger Gemeinschaftsfähigkeit. Obwohl so viele sich ein Mehr an Gemeinschaft und Solidarität wünschen, gelingt es anscheinend immer seltener, das im Leben umzusetzen; die Vereinzelung und der übersteigerte Individualismus nehmen immer mehr zu, und mit ihnen Vereinsamung, Abkapselung voneinander und Gewaltbereitschaft gegeneinander.

Wo aber wirklich Gott die Herrschaft hat, dort werden die Menschen zueinander geführt und nicht gegeneinander in Stellung gebracht, dort wächst die Bereitschaft, einander zu ertragen, wenn das Zusammensein schwer wird, und einander zu vergeben, wenn Unrecht geschah. Wo wirklich Gott das Sagen hat und Menschen auf ihn hören, dort triumphiert der Friede Christi in den Herzen, dort wächst die Einheit auch bei unterschiedlichen Ansichten und Meinungen. In diesen Dienst an der Einheit will ich mich stellen, denn das ist wahrhaft bischöflicher Dienst. Wachsende Gemeinschaft mit Gott und von daher auch wachsende Gemeinschaft der Menschen untereinander – darin erkenne ich den Auftrag des Bischofsamtes zu allen Zeiten, auch heute. Das heißt die Menschen in der Ortskirche im Blick behalten, nicht nur die, die noch da sind, sondern alle, die sich schon von Kirche abgewandt haben oder auch noch nie dazugehört haben. Der Dienst an der Einheit umfasst alle Menschen guten Willens. Und er bedeutet, auch über die Ortskirche hinaus die Einheit zu suchen und zu bewahren mit den Bischöfen der weltweiten Kirche, zu deren Kollegium ich gehöre, und natürlich mit dem Papst als dem Haupt des Bischofskollegiums. Der Dienst an der Einheit bedeutet, die weltweite Ökumene zu fördern mit den Schwestern und Brüdern in den Kirchen, die nicht in der vollen, sichtbaren Einheit mit uns stehen, damit alle eins werden. Und ich danke an dieser Stelle ausdrücklich für die Anwesenheit so vieler Schwestern und Brüder aus der Ökumene.

Dienst an der Einheit ist nicht populär in Zeiten zunehmender Individualisierung und systematischer Aufspaltung. Er wäre ganz sicher auch eine Überforderung für eine Person. Daher bin ich so dankbar für die – immer noch – vielen, die mitwirken und mitsorgen im Dienst an der Einheit in unserem Erzbistum: den Priestern und Diakonen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den pastoralen und pädagogischen Berufen und in den Diensten und Einrichtungen der Caritas. Und ich bete um Berufungen für alle diese Dienste. Ich danke allen, die in der Verwaltung dafür sorgen, dass wir beieinanderbleiben, im Erzbischöflichen Ordinariat und den übrigen Einrichtungen auf diözesaner Ebene, in unseren Dekanaten, Seelsorgebereichen und Pfarrgemeinden. Ich danke den vielen, die sich ehrenamtlich engagieren in der territorialen und kategorialen Seelsorge, in den Gremien und Verbänden – Jung und Alt und alle dazwischen. Bleiben wir beieinander und mühen wir uns miteinander, um den spalterischen Tendenzen zu wehren!

Aber machen wir uns immer auch eines bewusst: All unser Mühen und Sorgen wird nur dann etwas bewirken können, wenn es aus einer tiefen, inneren Beziehung mit Gott heraus geschieht, aus echtem Gottvertrauen. Daher muss in der Mitte all unseres Bemühens die Gemeinschaft mit Gott stehen und all das, was diese Gemeinschaft fördert: das persönliche und gemeinschaftliche Gebet in den Familien und in Gebetskreisen, das Betrachten der Heiligen Schrift, die Feier der Sakramente, insbesondere der Eucharistie, aber auch die Wertschätzung für die Wort-Gottes-Feiern, Stundengebet und Andachten.

Manche sagen heute, Kirche sei am Kipppunkt, und meinen damit, bald gehe das Schiff unter. Ich aber bin fest überzeugt: Der Herr ist an Bord, und wenn wir uns auf ihn hin orientieren, dann bekommen wir neuen Mut, selbst wenn es um uns herum stürmisch zugeht. Dann dürfen wir die Erfahrung des Propheten Micha aus der ersten Lesung teilen: Gott schenkt einen neuen Anfang. Er verzeiht die Schuld und versenkt sie im Meer und wir haben Zukunft - mit IHM.

Nur darum ist mir auch um die Zukunft unserer Kirche nicht bang, weil der Schatz im Acker nicht aus den Kirchensteuereinnahmen besteht, sondern aus der Zusage des Herrn: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.